Im Morgengrauen sind sie losgezogen. Der Sabbat ist vorüber. Sie gehen zum Grab, um es zu besuchen. Es ist das, was ihnen von Jesus geblieben ist. Sie wollen an ihren Herrn denken, die Erinnerung wachhalten an das, was sie mit ihm erlebt haben. Etwas tun können, wenn die Traurigkeit einen so hilflos und ohnmächtig macht.
Etwas tun können.
Wir Menschen brauchen so etwas. Wir brauchen das Grab, einen Ort, an dem wir unserer Verstorbenen gedenken. Wir pflegen das Grab, pflanzen Blumen und begießen sie. Stellen ein Licht drauf. Gravieren den Namen in den Grabstein, damit er unvergessen bleibt.
Man besucht das Grab und lässt den Besuch gelten als Besuch bei dem Verstorbenen.
Zuhause steht vielleicht ein Bild, eine Kerze davor, Gespräche werden geführt mit dem Verstorbenen, Verbundenheit gesucht über die Grenze des Todes hinweg.
Wir Menschen brauchen das. Wir brauchen die Grabpflege, das Bild, die Erinnerung. Wir brauchen es, um fertig zu werden mit dem Tod.
Der Tote entschwindet uns, aber wir halten fest und machen fest, was wir noch von ihm haben: das Grab und die Erinnerung.
So tun es auch die Frauen am Ostermorgen.
Aber aus der guten Absicht der Frauen wird nichts. Ihr Weg zum Grab findet ein plötzliches Ende. Da steht einer und sagt: „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier, er ist auferstanden.“
Wir könnten jetzt darüber rätseln, wer das ist, der dies sagt, der Engel. Aber darauf kommt es nicht an. Es kommt auf das Wort an: „Er ist nicht hier“. Es kommt auf die Erfahrung an: Jetzt wird uns auch das Letzte noch genommen. Jetzt wird uns noch die Möglichkeit genommen, dass wir ans Grab gehen und zurückdenken an unseren Herrn Jesus Christus.
In diesen Tagen erleben wir das genauso schmerzhaft wie die Frauen damals. Das Grab ist leer. Die Straßen sind leergefegt, die Geschäfte geschlossen, Büros stillgelegt, Gottesdienste dürfen nicht stattfinden, zusammen Ostern feiern mit Freunden und Familie – nicht möglich.
Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen.“
Das Leben hat andere Pläne, sucht sich neue Wege.
Die Verlangsamung und Reduzierung des Alltags schafft eine neue Achtsamkeit. Das Gespräch über den Gartenzaun, plötzlich hab ich Zeit dafür. Den Topf mit Suppe der Nachbarin vor die Tür stellen, die drei kleine Kinder hat und nicht weiß, wie sie das alles schaffen soll. Den selbstgebackenen Kuchen der kranken älteren Dame an die Tür hängen. Ich gehe bewusst durch den Tag, freue mich daran, wie die Natur jeden Tag ein Stückchen mehr erwacht. Die Kirchen entdecken neue Wege, wie sie die Menschen mit der frohmachenden Botschaft des Evangeliums erreichen können. Soviel Kreativität erwacht in diesen Tagen.
Sucht Jesus nicht bei den Toten.
Der Engel verweigert uns, dass wir Jesus bei den Toten suchen, in der Vergangenheit. Er schickt uns hinaus ins Leben und sagt uns: „Dort werdet ihr ihn finden. Sucht den Lebenden nicht bei den Toten.“
Die beiden Frauen, Maria Magdalena und die andere Maria, gehen vom Grab weg. Sie machen sich auf den Rückweg, den Rückweg ins Leben. Sie finden ihren lebendigen Herrn und auch wir werden ihn finden.
Amen.
Gebet:
Lebendiger, lebensschaffender Gott,
verankere die Freude dieses Tages
in unserem Herzen,
damit sie nicht verfliegt,
wenn wir zurückkehren in unsern Alltag.
Präge in unser Gedächtnis ein,
dass du den Tod überwunden hast,
damit wir nicht in Trauer versinken,
wenn wir begraben müssen,
die wir lieben.
Spiel‘ uns das Lied vom Leben ins Ohr
damit wir von Hoffnung singen können –
trotz so viel Sterbens in unserer Welt.
O Herr, hilf, lass wohlgelingen,
dass das Licht des Ostermorgens
uns aufweckt aus Trägheit und Zweifel
und alle Düsternis aus uns vertreibt.
(Sylvia Bukowski)