Vom Erwachsenwerden – Himmelfahrt

(Apostelgeschichte 1, 3-11)

Da stehen sie nun und schauen in den Himmel. Sie schauen dem nach, der vor ihren Augen verschwunden ist. Weg ist er. Und sie können es noch gar nicht begreifen. Jetzt ist ihr Freund und Meister wirklich gegangen.
Und sie fühlen sich alleingelassen, hilflos und ratlos.

Diese letzten 40 Tage waren etwas Besonderes gewesen:
Als er ihr Herz berührte mit einer Hoffnung, die sie sich nicht selbst sagen konnten. Als er das Brot brach und die Fische geteilt hat. Als er plötzlich in ihrer Mitte war, als sie zweifelten, dass das Leben wirklich stärker als der Tod ist, und er sich berühren ließ an seinen Wunden. An denen haben sie ihn erkannt.
Momente, in denen der Himmel offen stand.
Doch als sie ihn festhalten wollen, da verschwindet er wieder. Entschwindet ihren Greifen und Begreifen Wollen.
Jetzt müssen sie Jesus endgültig loslassen. Sie können ihn nicht festhalten. Er entschwebt auf einer Wolke, verhüllt, verborgen, nicht mehr zu berühren, zu greifen, einfach weg.
Nun gilt es die Situation des Abschieds mit allen Gefühlen der Trauer, der Verlassenheit und Verunsicherung auszuhalten. Und zu warten, zu erinnern und eigenständig einzustehen für das, was sie gesehen, gehört, gefühlt und erlebt haben.
Das ist eine Grunderfahrung des Christseins. Wer sich den Abschieden im Leben wirklich stellt, ihnen nicht ausweicht, der wird es erfahren: Jeder Abschied ist wie ein Übergang, wie eine Wandlung. Jeder Abschied führt zu einer Reifung, fordert von uns einzutreten in eine neue Phase unseres Lebens.

Mir hat mal ein früherer Dekan gesagt: Wirklich erwachsen wird man erst, wenn die Eltern gestorben sind.
Jetzt leben meine Eltern noch, beide, und auch wenn sie schon hochbetagt sind und so manches langsam nachlässt, ich bin bleibe trotzdem ihr Kind. Und das wird so bleiben bis sie sterben.
Wie es sein wird, wenn sie beide nicht mehr da sind? Ich kann mir das nicht so recht vorstellen. Es wird wehtun. Es wird bedeuten, dass jetzt ich in der vordersten Reihe stehe. Aber es ist nötig. Sonst würde ich ewig Kind bleiben, würden nie ganz erwachsen, nie in der ersten Reihe stehen. Ohne das Verlassen, ohne den Abschied blieben wir abhängig. Wenn Abschiede gut bewältigt werden, dann sind wir nicht einfach verlassen, sondern verwandelt. Wir werden selbst – ständig, selbst – bewusst, voller Selbst- Vertrauen und Selbst – Wertgefühl. Diejenigen, die ihre Eltern verloren haben, haben das wohl so erlebt: Die Eltern werden weggenommen, aber einen Teil von ihrem Geist behalten wir.

„Jetzt müsst ihr mich vertreten“, sagt Jesus. „Ihr werdet meine Zeugen sein. Ihr werdet gehen bis an das Ende der Erde.“
Wir haben einen Auftrag: Zeugen des lebendigen Herrn zu sein. Eigenständig, mutig und frei in seinem Namen für das einzustehen was dem Leben dient.
Und deshalb müssen da auch zwei Engel stehen, die die zum Himmel Starrenden wieder auf die Erde zurückweisen, dahin wohin Gott sie sendet. Was steht ihr da und seht in den Himmel? Er lebt, er bleibt als der Lebendige mitten unter euch. Er geht voraus und macht euch den Himmel weit. Wo Gott ist, da ist Himmel, so haben wir es eben gesungen. Und diesen Himmel könnt ihr in manchen Momenten heute schon mitten unter euch erfahren.
Welch ein Trost, dass Jesus uns auf diesem Weg des Erwachsenwerdens im Glauben nicht allein lässt. Er verheißt uns seinen heiligen Geist. Ihr sollt mit dem heiligen Geist getauft werden und werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.
Durch seinen Geist geschieht etwas geschieht in uns, gewinnt Raum, was ganz konkrete, auch soziale und gemeinschaftsverändernde Folgen hat.

Indem Jesus Abschied nimmt von seinen Jüngern stiftet er eine ganz neue, nochmal ganz andere Beziehung. Es geschieht das Wunder, dass er sich allen Menschen und allen Zeiten als der Lebendige erweist.
Alle eure Traurigkeit, eure Angst, eure Erfahrung von Krankheit und Tod ist umspannt von dieser anderen Wirklichkeit Gottes. Christus sitzt zur Rechten Gottes, er hat die Macht über Himmel und Erde, über alles, was euch quält und kleinmachen will. Traut seiner Kraft etwas zu und traut der Kraft der heiligen Geistes etwas zu, der in jedem und jeder von euch wohnt. Und deshalb beten wir mit den Worten Jochen Kleppers: „Welch Dunkel uns auch hält, sein Licht hat uns getroffen. Hoch über alle Welt steht uns der Himmel offen.“ Amen.

Segen

Möge dann und wann deine Seele aufleuchten
im Festkleid der Freude.
Möge dann und wann deine Last leicht werden
und dein Schritt beschwingt wie im Tanz.
Möge dann und wann
ein Lied aufsteigen vom Grunde deines Herzens,
das Leben zu grüßen wie die Amsel am Morgen.
Möge dann und wann der Himmel über deine Schwelle treten.

(Sabine Naegeli)